Peter Czochs Buch Ultras in Deutschland ist eine umfassende Untersuchung der Ultrakultur im deutschen Fußball. Das Werk, erschienen im Jahr 2016 im Hirnkost Verlag, umfasst 336 Seiten und vereint eine Vielzahl an Perspektiven – von aktiven Ultras über Wissenschaftler bis hin zu Sozialpädagogen und Journalisten. Damit bietet das Buch eine facettenreiche Analyse eines Phänomens, das oft von Missverständnissen und Vorurteilen geprägt ist. In dieser Rezension sollen Inhalt, Struktur, Stärken und Schwächen des Buches näher beleuchtet werden.
Entstehung des Buches
Das Buch entstand aus einem Projekttutorium an der Humboldt-Universität zu Berlin. Peter Czoch, der Herausgeber, stellte einen Antrag für dieses Projekt, das schließlich genehmigt wurde. Über zwei Semester hinweg traf sich eine Gruppe aus interessierten Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen sowie externen Teilnehmern einmal wöchentlich, um sich intensiv mit der Ultrakultur auseinanderzusetzen. Neben Diskussionen innerhalb der Gruppe wurden auch Gastreferenten wie Almut Sülzle, Gerd Dembowski und Alexander Bosch eingeladen, die mit ihren Fachkenntnissen zusätzliche Perspektiven lieferten.
Die in diesen Sitzungen gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen wurden schließlich in diesem Buch zusammengefasst. Neben den thematischen Schwerpunkten zu Fankultur, Vereinsstrukturen und dem öffentlichen Bild der Ultras behandelt das Buch auch die historische Entwicklung der Ultras in Deutschland, die politischen Differenzen innerhalb der Szene sowie die umstrittene Datei ‚Gewalttäter Sport‘. Darüber hinaus wird ein Blick ins Ausland geworfen, insbesondere nach Italien, das als Mutterland der Ultras gilt.
„Dass alles darauf ausgerichtet ist, aus dem Fußball als Event mehr und mehr Geld rauszupressen, nervt mich und ich finde es falsch. Ich hab gar keinen Bedarf daran, nach England oder Spanien zu gucken, wieviel Fernsehmilliarden sie sich da um die Ohren hauen und dann andere als Farmer-League verspotten. Ich will Fußball mit meinen Freunden gucken, mit Vereinen, die einigermaßen gleiche Bedingungen haben und nicht, wo das Geld von autokratischen Regimen, Rüstungskonzernen und neureichen Investoren die Wettbewerbe verzerrt.“
Autor Peter Czoch einst im Gespräch
Finanziert wurde das Buchprojekt durch eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne auf der Plattform Startnext, was zeigt, dass es auf großes Interesse in der Fanszene und darüber hinaus stieß. Insgesamt bietet das Buch eine tiefgehende und vielseitige Auseinandersetzung mit dem Thema, die sowohl wissenschaftlich fundiert als auch praxisnah gestaltet ist.
Inhalt und Struktur
Das Buch ist in mehrere thematische Abschnitte gegliedert, die verschiedene Aspekte der Ultrakultur behandeln. Es beginnt mit einer Einführung in die Geschichte und Entwicklung der Ultraszene, geht dann über in eine Analyse der gesellschaftlichen und politischen Dimensionen und behandelt schließlich die rechtlichen und sicherheitspolitischen Konsequenzen, die mit der Bewegung verbunden sind.
Ein zentraler Bestandteil des Buches sind die zahlreichen Interviews mit Vertretern der Ultraszene. Dabei kommen sowohl langjährige Mitglieder als auch jüngere Anhänger zu Wort, wodurch verschiedene Generationen und Sichtweisen innerhalb der Bewegung dargestellt werden. Besonders hervorzuheben ist das Gespräch mit Sören von den Zero Ultras, das eine intensive und persönliche Perspektive auf die Szene liefert. Zudem enthält das Buch wissenschaftliche Analysen zur Gewaltfrage, Berichte über den Umgang der Polizei mit Ultras und eine kritische Auseinandersetzung mit der Datei ‚Gewalttäter Sport‘.

Stärken des Buches
- Vielfalt der Perspektiven
Eine der größten Stärken von Ultras in Deutschland ist die Bandbreite an Stimmen, die zu Wort kommen. Czoch hat es geschafft, ein Kaleidoskop an Meinungen und Erfahrungen zusammenzutragen, was das Buch besonders wertvoll für Leser macht, die sich ein differenziertes Bild der Ultraszene machen möchten. Neben den Stimmen der Ultras selbst sind auch Expertenmeinungen aus den Bereichen Sozialwissenschaft, Journalismus und Kriminologie enthalten, die eine tiefere Analyse ermöglichen.
- Kritische Reflexion der gesellschaftlichen Wahrnehmung
Das Buch leistet einen wichtigen Beitrag zur Entzauberung vieler Mythen rund um die Ultrakultur. Anstatt Ultras pauschal als gewaltbereite Hooligans darzustellen, wird deutlich gemacht, dass es sich um eine vielschichtige Bewegung handelt, die auch Aspekte wie Choreografien, Kreativität, Zusammenhalt und soziale Projekte umfasst.
- Praxisnahe Beispiele
Ein weiterer Pluspunkt sind die vielen Praxisbeispiele aus verschiedenen deutschen Städten. Die Darstellung lokaler Unterschiede zeigt, dass die Ultrakultur keineswegs homogen ist, sondern je nach Verein und Region unterschiedliche Ausprägungen hat.
Schwächen des Buches
- Mangel an Struktur und Orientierungshilfen
Eine häufige Kritik am Buch ist seine teilweise unübersichtliche Struktur. Durch die Vielzahl an Stimmen und Themen wechseln die Kapitel oft abrupt, was den Lesefluss erschwert. Zudem fehlt ein Stichwortverzeichnis, was die gezielte Suche nach bestimmten Themen oder Begriffen erschwert.
- Teils überlange Interviews
Einige Interviews – beispielsweise das mit Sören von den Zero Ultras – sind sehr ausführlich und hätten an manchen Stellen gestrafft werden können. Zwar sind sie inhaltlich wertvoll, doch für Leser, die eine präzisere Darstellung bevorzugen, können sie langatmig wirken.
- Fehlende internationale Einordnung
Während das Buch eine exzellente Analyse der deutschen Ultrakultur bietet, fehlen Vergleiche mit anderen Ländern. Gerade die italienische oder französische Ultrakultur hätten als Kontrastpunkte interessante Einblicke geliefert, um Entwicklungen in Deutschland besser einordnen zu können.
Ein bedeutendes Werk über die Fankultur in Deutschland
Trotz kleinerer Schwächen ist Ultras in Deutschland ein bedeutendes Werk für alle, die sich mit der Ultrakultur beschäftigen möchten. Es bietet eine differenzierte Sichtweise auf eine oft missverstandene Bewegung und regt zur Reflexion über gesellschaftliche Vorurteile, staatliche Repression und die Bedeutung von Fankultur im modernen Fußball an. Wer sich für das Thema interessiert, wird in diesem Buch viele wertvolle Informationen finden – auch wenn eine klarere Struktur und eine etwas präzisere Darstellung einiger Inhalte wünschenswert gewesen wären.